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Zwischen Mensch und Maschine

Für Andrew Hall ist entwerfen und bauen ein «grosses menschliches Abenteuer». Ein Gespräch mit dem Architekten über Proportion, Nutzen und Gebäude D als Stadt en miniature.

Ein kurzer Rundgang über die Baustelle, wo zurzeit Elektro- und Haustechnik installiert werden, bevor Andrew Hall im Baubüro vor der grossen Schnittperspektive steht, um über die Organisation und die Gestaltung von Gebäude D zu sprechen. «Ich wollte, dass wir unsere Ideen in einer Visualisierung konzentrieren», sagt er. «Dann ist klar, was wir uns gedacht haben, und der Bauherr weiss genau, was er bei uns bestellt hat.»

Der Bau in einem Bild ist Rückblick und Ausblick zugleich. Vor 15 Jahren wurde im Rahmen des Architekturwettbewerbs entschieden, wie das Verwaltungsgebäude volumetrisch aussehen soll. Gleichzeitig muss es flexibel an die heutigen und auch die zukünftigen Nutzerbedürfnisse angepasst werden können.

Andrew Hall, wie viel Gestaltungsspielraum haben Sie eigentlich, nachdem der Bau schon so stark definiert ist?

Standort und Aussenvolumen der Gebäude auf dem Gelände Guisanplatz wurden bereits im Wettbewerb festgelegt. Die erste Etappe konnten wir 2019 abschliessen. Die Bestellung für Gebäude D an uns war: Umsetzung wie in der ersten Etappe oder besser. Damit ist für uns der Handlungsrahmen gesetzt, in dem wir prüfen, was man heute anders machen sollte, weil sich Normen, Technologien, politische Strategien und kultureller Zeitgeist weiterentwickelt haben. Wir müssen spüren, was für dieses Gebäude wegen seines Standorts und seiner Ausrichtung richtig ist und das in der Ausführungsplanung erarbeiten. 

Die Ziele sind genau die gleichen wie in den Gebäuden von Etappe 1 – nämlich termin- und budgetgerecht ein funktionierendes Gebäude mit flexiblen Büroarbeitsplätzen zu erstellen. Und dennoch werden wir vieles ganz anders lösen, weil das Gebäude nicht gleich ist und weil wir durch die Erfahrung der ersten Etappe und den Dialog mit dem Bauherrn, dem Betreiber, den Planern und den Unternehmern bei anderen Lösungen für das Gebäude und die zukünftigen Nutzerorganisationen landen.

Was sehen Sie aktuell, wenn Sie durch das Gebäude gehen?

Die Konkretisierung von vielen Diskussionen, Intuitionen, Zweifeln, Besprechungen, Abwägungen … und Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten. Jeder Bau ist ein grosses, menschliches Abenteuer. Ein andauernder Dialog und Lernprozess – fachlich, emotional, menschlich. 

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Gebäude D definiert die Nord-Ost-Grenze des Areals Guisanplatz 1.

Wie steht Gebäude D im Kontext zu den umliegenden Verwaltungsgebäuden und zum Quartier?

Es definiert die Nord-Ost-Ecke der Parzelle und liegt, wenn man von Süden, also von dem Haupteingang, auf das Areal schaut, hinter den bereits bestehenden Verwaltungsgebäuden. Es war daher wichtig, dem Gebäude ein eigenes Gesicht und Gewicht zu geben. Gebäude D hat sechs überirdische Geschosse und muss sich neben Gebäude A behaupten, das acht Geschosse hat und in der Mitte des Areals liegt. Wie die Gebäude dieses Verwaltungszentrums zueinander stehen, ist vergleichbar mit Stadtraum. Wir verstehen Wege und Plätze als Leerräume zwischen den Gebäuden. Diesen Leerraum darf man nicht dem Zufall überlassen, man muss ihn gestalten. Gebäude D ist auch im Kontext zur angrenzenden Papiermühlestrasse und der direkten Nachbarschaft zu sehen. Von hier schaut man auf das Gebäude und sieht dessen Gesicht – die Fassade, die Stadtraum zitiert und etwas über die innere Organisation des Gebäudes verrät. Hier können bis zu 1200 Menschen arbeiten, das entspricht der Bevölkerungsanzahl eines Dorfes.

Was kann man an der Fassade ablesen?

Durch die Materialisierung der Fassade, mit Stein bis auf den Boden, zeigt man die Verankerung des Gebäudes im Stadtraum. Dann spielen wir mit der Wahrnehmung von Räumen. Der Eingangsbereich wird ein zweigeschossiger Laubengang sein. Er gibt dem Gebäude äusserlich seine eigene Identität. Hinter diesem Eingang wird die Raumhöhe eingeschossig, um sich dann zuerst wieder auf zwei Geschosse zu erhöhen, bevor man ins Atrium kommt. Hierin wird die ganze Volumetrie des Gebäudes spürbar – innen 50 Meter lang, aussen 100 Meter und sechs Geschosse hoch –, der Blick kann durch das Glasdach in den Himmel schweifen. Auch die Gebäude der ersten Etappe haben ein Atrium. Aber jedes Gebäude sieht anders aus und bekommt deswegen eine eigene Interpretation oder Variation.

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Was es sein soll und wie es aussehen will?

Genau. Wegen der Proportionen des Innenraums sind wir schliesslich darauf gekommen, das Atrium bei Gebäude D durch Stützen zu definieren, die sich an den Längsseiten über zwei Geschosse erstrecken. Die dadurch entstehende Zweigeschossigkeit wirkt grosszügig, schafft aber gleichzeitig ein Gefühl von Struktur und am Menschen ausgerichteten Raum im und um das Atrium. Der Erdgeschossbereich im Atrium ist eine moderne Agora – ein sozialer Platz, an dem die Menschen sich treffen. Und von dem sie in die verschiedenen Bereiche des Gebäudes gelangen. Unsere Idee baut darauf auf, die Struktur von städtischen Räumen ins Haus zu holen, in die Geschosse zu ziehen und nachzubauen. Mit unterschiedlichen Geschosshöhen, mit verschiedenen Aus- und Durchblicken, mit Gemeinschaftsflächen und Sitzungsbereichen auf allen Geschossen, die wie kleine Plätze genutzt werden können. Diese Struktur ist an der Fassade mit dem Laubengang und den einzelnen Loggien angedeutet.

Wie entsteht Raumgefühl?

Je nachdem, wo man steht oder geht und wohin man blickt, ist das Raumgefühl anders. Uns war wichtig, dass das Atrium als zentraler Begegnungsraum und Verkehrsweg nicht monumental wirkt. Eine Kirche, ein Bahnhof dürfen monumental sein. Ein Bürogebäude muss menschlich wirken. Wir beginnen oft mit einem Bauchgefühl. Ich hinterfrage, was ich sehe, was passiert, wenn ich Wände verschiebe, Höhen ändere. Wie verändert sich das Volumen, wie reagiere ich darauf? Die Arbeit des Architekten hat viel zu tun mit Massstab. Der Grundgedanke muss immer sein: Kohärenz im Massstab bis ins letzte Detail.

Ist es dabei ein Vorteil, dass Gebäude D so eine klare Struktur hat?

Ja. Die klare Struktur hilft als Startpunkt, um die richtigen, aufeinander aufbauenden Entscheidungen zu treffen. Es hat eine Beton-Skelett-Struktur als Tragwerk und variierende Öffnungen. Damit können wir spielen. Die Idee der zweigeschossigen Stützen des Atriums ist erst nach zahlreichen Versuchen entstanden. Uns inspiriert zum Beispiel die Kunst von Giorgio de Chirico oder Felice Varini und wie sie mit Fluchtpunkten und Raum umgehen. Sie nutzen Anamorphosen und perspektivische Verzerrungen. Wir haben auch den Boden im Atrium als Gestaltungsfläche mitgenutzt, um den langen, hohen Raum visuell zu stabilisieren.

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Wie beschreiben Sie den Unterschied zwischen Bau und Architektur?

Ein solches Gebäude soll, um einen Begriff von Le Corbusier zu nutzen, eine gut funktionierende «Maschine» sein, also dem Zweck dienen. Hier sind die Haustechnik, die Einstellhalle mit den Parkplätzen und einzelne Servicebereiche in den Untergeschossen organisiert; Büros und Sitzungsbereiche in den Obergeschossen. Die Fachleute auf der Baustelle erstellen diese Räume. Wir Architekten können nicht bauen, wir geben dem Bau sein Aussehen. Ich nutze manchmal den Begriff «Seele». Bin aber unsicher, ob er es wirklich trifft. Ich habe einmal eine Fuge in einem Bodenbelag nicht richtig platziert und dem Unternehmer auch nicht gut genug erklärt, wie ich sie haben möchte.

Und dann?

Dann hat der Unternehmer den Boden perfekt verlegt. Und doch wirkte alles falsch. Wie wichtig ist so eine Fuge, die ein bisschen daneben ist? Ich bin überzeugt, solche Details fallen den Menschen unbewusst auf und führen zu Wohlgefühl oder Irritation. Wir Menschen sind menschliche Tiere, wir spüren Räume und nutzen sie nicht nur als Maschinenraum, der funktioniert. Der Bündner Architekt und Pritzkerpreisträger Peter Zumthor zum Beispiel kommuniziert so wenig wie möglich über seine Architektur in Bildern, weil er findet: Ein Raum muss betreten und erfahren werden.

Im Gebäude wird es viele schöne Details geben in der Materialwahl und Materialverarbeitung. Die gesamte Haustechnik ist nicht nur in die Wände und Decken integriert. Deren Oberflächen geben z. B. den langen Korridoren durch feine Vor- und Rücksprünge Struktur und haben damit gestalterische Wirkung.

Das ist ein Beispiel für Nützlichkeit und sinnvollen Innenausbau. Es gibt in allen Fluren Schränke, die von aussen nicht als Technikbereiche erkennbar sind. Öffnet man diese Schränke, dann kann man sofort auf die Haustechnik zugreifen, der Flur bleibt für die Mitarbeiter nutzbar. Der römische Baumeister Vitruv hat von Utilitas, Firmitas und Venustas gesprochen. Nützlichkeit, Festigkeit und Schönheit müssen kohärent zusammenkommen. Für mich gilt das bis heute.

Können Sie ein Beispiel sagen?

Es gibt keinen linearen Prozess, um zu einem guten Ausdruck zu kommen. Wir haben diskutiert, ob es neben dem gläsernen Atriumdach über den beiden Wendeltreppen auch Dachöffnungen braucht, um die vertikale Bewegung zu verstärken. Oder wird die Treppe damit überinszeniert? Was brauchen die Menschen, wenn sie im 5. Stock auf den in die Architektur integrierten Bänken sitzen und eine Pause machen? Wir haben uns entschieden, dem Bereich rund um die Treppe mit den Ausblicken ins Atrium und auf die Dachterrasse eine eigene Qualität zu geben. Das klingt jetzt vielleicht nach einem Detail, hat aber für Raumwirkung und Wohlgefühl grosse Bedeutung.

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Wie kommen Ihre Vorstellungen mit denen der Bauherrschaft zusammen?

Unsere Grundaufgabe ist, die Bedürfnisse von unseren Bauherren zu realisieren. Für Gebäude D war, wie schon gesagt, viel vorgegeben. Aber die Details der Gestaltung haben wir mit dem Bauherrn besprochen. Die Ergebnisse daraus sind in der materialisierten Schnittperspektive zu sehen, die im Baubüro hängt und uns zeigt, wie das Gebäude im Jahr 2026 aussehen wird. Hier sieht man auf einen Blick die Komplexitäten, Finessen und Aufgaben des Gebäudes. Wenn man dieses eine Bild hat, ist die Bestellung klar, und wir setzen sie um.

Wie entwerfen Sie?

Entwerfen ist ein Dialog zwischen dem Kopf, der denkt, und der Hand, die zeichnet. Als Architekt oder Hochbauzeichner sollte man räumlich denken können. Das Zeichnen ist ein gutes Werkzeug, die Intuition sichtbar zu machen; ein Plan ist die grafische Darstellung von dem, was in unseren Köpfen passiert. Das geht hin und her in einem iterativen Prüf-Prozess – nur so konkretisiert sich eine Idee und wir verstehen, ob sie überhaupt umsetzbar ist. Ein Plan ist am Ende wie das Buch zur Idee, das man lesen und verstehen kann.

Architekten wie Alvar Aalto vertraten die Haltung, dass wir nichts mehr erfinden, dass eigentlich alles gesagt ist. Was denken Sie dazu?

Die Aufgaben beim Bauen sind immer die gleichen. Aber wir suchen zeitgemässe und kontextbezogene Lösungen. Deswegen ist der Lernprozess im Team so wichtig. Die Unternehmer, die Planer, das Team des Generalplaners – jeder bringt sein Wissen ein, weshalb auch immer neues Wissen entsteht. Daher gelingt es uns, bei jedem neuen Bauwerk innovativ zu sein.

Wie haben Sie Innovation bei den flexiblen Arbeitsräumen umgesetzt?

Der Bund reagiert auf die veränderte Arbeitswelt mit flexiblen Büroflächen und Desksharing. Wir müssen also nichtindividuelle Arbeitsplätze planen und gleichzeitig Räume so zonieren, dass die Nutzerorganisationen sie an ihre Arbeitsbedürfnisse anpassen können. Dafür haben wir uns die Grössenvorgaben der Haustechnik zunutze gemacht. Die Deckenpaneele in den Büroflächen beinhalten Wärme-, Kälte- und Lüftungstechnik für Heizung und Kühlung; sie sind in der Grösse definiert. Auf der Basis haben wir Raummodule entwickelt. Diese können individuell in 4er-, 8er- oder 12er-Schritten, ausgerichtet an den Deckenpaneelen, für die individuelle Raumgestaltung genutzt werden. Das wird man als Nutzer kaum sehen, aber spüren. Weil Haustechnik, Raumnutzen und Gestaltung zusammen entwickelt worden sind.

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Andrew Hall in einer der Loggien im Atrium, die zukünftig als informelle Gesprächsbereiche genutzt werden können.

Wo finden Sie Inspiration?

Ich lese, vor allem internationale Medien. Ich schaue und sammle, was mir auffällt. Ich mische die Referenzen von unterschiedlichen Disziplinen wie Architektur, Kunst, Fotografie, Grafik, die doch ähnliche Sprachen nutzen. Es gibt Personen wie Gilles Clément, der französische Landschaftsarchitekt, dessen Arbeit ich regelmässig anschaue. Er vertritt das Konzept des «Jardin en Mouvement», des beweglichen Gartens, in dem die Pflanzen leben und sich ihren eigenen Ort suchen, an dem Samen keimen können. Mir gefällt die Poesie dahinter. Sie passt auch zu uns menschlichen Tieren, die einen guten Ort brauchen. Wir sind eine Weile im freien Flow, benötigen aber von Zeit zu Zeit einen Input, um in eine neue Richtung zu gehen. Dazu kann die Architektur einen Beitrag leisten, weil sie unsere Lebens- und Arbeitsorte definiert.

Zur Person:

Andrew Hall ist Dipl.-Architekt und arbeitet seit 2010 bei Aebi & Vincent Architekten A&V. In der ersten Etappe verantwortete er für alle Gebäude die Betonarbeiten, die Koordination und die architektonische Qualität der Ausführung; bei Gebäude D in der aktuell zweiten Etappe ist er Chef-Architekt im Generalplanerteam von A&V. Er hat zuvor in Belgien, den Niederlanden, Frankreich sowie Italien gelebt und gearbeitet. 

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