«Genau dafür leben wir»

Stefano Corosiniti ist seit 25 Jahren Bauführer. Die Managementaufgabe fordert von ihm Fachwissen, Führungsverantwortung und Flexibilität. Ein Gespräch über die Faszination Spezialtiefbau, schlaflose Nächte und sein Team.

Herr Corosiniti, Sie sind gelernter Zeichner Fachrichtung Ingenieurbau, Maurer, ausgebildeter Bauführer und Baumeister. Was ist Ihre Aufgabe in der Tiefbauphase am Guisanplatz?

Meine Aufgabe ist die ungestörte Abwicklung des ganzen Bauablaufs während der Tiefbauphase. Als Baustellenchef stelle ich sicher, dass wir nach und nach, in unserem Zeitplan, die bestellten Leistungen erbringen. Das Bauprogramm ist bei dieser Baustelle besonders wichtig, weil so viele Arbeiten gleichzeitig passieren mussten. Neben der Koordination der Arbeiten bin ich auch für die Finanzen zuständig: Ausmasse zusammentragen, Rechnungen schreiben, falls nötig Nachträge erstellen, im Budget bleiben.

Wenn Sie die fertige Baugrube für die Hochbauphase übergeben, dann übernimmt der Baumeister …

… in Mundart werde ich auch manchmal als Baumeister bezeichnet, was aber inhaltlich nichtkorrekt ist, auch wenn es mein gelernter Beruf ist. Baumeister ist eine feste Berufsbezeichnung und sie bezieht sich auf den Hochbauunternehmer. Dessen Arbeiten – Kran stellen, Haus bauen – werden als Baumeisterarbeiten bezeichnet. Mein Auftrag heisst «Baugrubenaushub» – ich arbeite in die Tiefe statt in die Höhe. Gelernt habe ich allerdings Hochbau und Tiefbau.

Sie arbeiten seit 1997 als angestellter Bauführer. Seit 2015 sind Sie bei der Firma Marti AG Bern, die als Teil der ARGE Marti/Frutiger mit dem Rückbau und der Baugrube für Gebäude D beauftragt ist. Was macht diese Baustelle für Sie besonders?

Ich leite in der Regel zwei bis drei Baustellen gleichzeitig. Wenn ein Projekt abgeschlossen ist, wende ich mich der nächsten Aufgabe zu. Momentan bin ich neben dem Guisanplatz-Projekt auch mit dem Gaswerkareal Bern betraut, einer Strassenbaustelle zwischen Bern und Thun sowie der Sternwarte, die der Architekt Mario Botta für Niedermuhlern entworfen hat. Ich bin in all diesen Fällen Projektleiter und stütze mich auf mein Team. Wurm Stefan ist mein Bauführer. Hirt Nicole, eine Ingenieurin, Mami, teilzeitbeschäftigt, übernimmt an zwei Tagen in der Woche Abrechnungsarbeiten. Zbinden Roger ist ein Mitarbeiter, der früher als Arbeiter auf dem Bau tätig war. Nach einem Unfall musste er sein Bein operieren lassen und konnte ein halbes Jahr nicht arbeiten. Vor zwei Jahren hat er eine berufsbegleitende Ausbildung als Bauplaner Ingenieurbau begonnen und kann nun sein letztes Ausbildungsjahr als Bauführerpraktikant auf Grossbaustellen verbringen.

Eine Chance für Sie und eine Chance für ihn?

Genau. Wenn es nicht klappt, haben wir es probiert. Ich funktioniere wie ein Scharnier zwischen dem, was auf der Baustelle passiert, und dem, was im Büro passieren muss. Denn die beste Baustelle ist nicht gut, wenn kein Geld reinkommt. Und Geld kommt nur rein, wenn der Büroapparat auch funktioniert. Unsere Arbeit auf der Baustelle hat am 25. Januar 2021 begonnen, seitdem haben wir 170 Ausmasse erstellt, bereinigt und verrechnet – inklusive März 2022. Unser Ziel ist, jeweils den Vormonat abzurechnen. Das ist in der Baubranche eher schwierig umzusetzen. Aber so behalten wir gute Kostenkontrolle.

Nutzen Ihnen Ihre ersten Ausbildungen bei dem, was Sie jetzt tun?

Tiefbauzeichner ist ein technischer Beruf, in meinem Fall mit Spezialisierung auf Strassenbau. Pläne lesen können, Mathematik nutze ich bis heute jeden Tag. Maurer war dann die praktische Ausbildung. Plötzlich ging es um Hochbau, Holzbau. Mein Wissen daraus brauche ich nicht oft, aber ich weiss einfach: So funktioniert das da draussen. Dazu kamen unter anderem Fremdsprachen, Recht, Abrechnungswesen. Es ist extrem komplex.

Wie sieht Ihr Alltag konkret aus?

Ich arbeite in der Regel im Hintergrund. Meine Bauführer leiten die Baustelle. Sie stellen sicher, dass es sauber, geordnet und optimal abläuft. Aber ich komme regelmässig zu den Bausitzungen, höre zu. Wenn es Schwierigkeiten gibt, übernehme ich: zum Beispiel bei Preisen, wenn Bauprogramme nicht stimmen, Ausmasse nicht korrekt sind. Am Guisanplatz bin ich sehr stark involviert, weil mein Bauführer erst lange nach Baubeginn in 2021 zum Team hinzukam. Hier bin ich eigentlich zu tief in der Baustelle drin und kenne viel zu viele Details.

Wie begann Ihre Arbeit am Guisanplatz?

Zwischen endgültiger Vergabe, Kick-off-Sitzung mit der Bauherrschaft und dem Beginn der Bauarbeiten hatten wir knapp vier Arbeitswochen. Wir konnten Ende Dezember 2020 das Gelände und das darauf befindliche, zurückzubauende Gebäude nicht einfach anschauen. Die Bundesratsautos standen noch in der Garage. Die Tankstelle war in Betrieb, ebenso die Waschstrasse. Erst kurz vor Arbeitsbeginn haben wir das Objekt übernommen. Unsere erste Arbeit ab dem 25. Januar war, den Bauzaun aus naturbelassenem Schweizer Vollholz zu stellen, was über einen Monat gedauert hat. Die Container für die Baubüros hatten drei Monate Lieferfrist. Wir mussten provisorische Büros einrichten. So haben wir langsam, aber sehr konzentriert und zielgerichtet begonnen.

Klingt so, als ob viel Flexibilität gefragt ist. Konnten Sie zu dem Zeitpunkt schon sehen, was die Baustelle spannend machen würde?

Das habe ich aus der Leistungsbeschreibung herausgelesen. Bei uns rechnen die Spezialisten im technischen Büro die Offerte. Bei dem Projekt war ich selber schon in der Offertphase involviert. Ich prüfe Vorgaben, damit nichts vergessen wird oder falsch kalkuliert ist. Die Breite, in der hier Aufgaben aus dem Spezialtiefbau anfallen würden, war aussergewöhnlich. Normales Geschäft sind zwei bis drei Arbeitsgattungen gleichzeitig. Hier war aber von Anfang an klar: Es gibt einen grossen Rückbau, Aushub, Sanierung Altlasten, Kanalisationsarbeiten, Bohrpfähle, Jetting, Anker, Mikropfähle, Wasserhaltung, Betonarbeiten und die Baugrubenfundation. Ein solches Spektrum von Spezialaufgaben an einem Ort ist selten.

Wie viel Kreativität brauchten Sie im Alltag?

Viel! Letzten Sommer hat es oft geregnet. Das Grundwasser stand über dem zehnjährigen Mittel des Grundwasserpegels und hat uns in der Baugrube zu schaffen gemacht. Das Wetter veränderte unsere Ausgangslage sehr und wir wussten ja nicht, wie lange es weiterregnen würde. Abgesagte Sommerferien, Kontrollgänge nachts und am Wochenende zur Überprüfung der Wasserstände sind nur eine kleine Auflistung der „unsichtbaren“ Arbeiten, die auch ausgeführt wurden. Aber genau dafür leben wir! Es hätte viel schiefgehen können. Mir ist lieber, wenn es diffizil werden kann, weil man dann besser überlegt und immer einen Plan B auf Lager haben muss. Wenn eine überlegte Lösung nicht geht, dann müssen wir eine andere Lösung erarbeiten. Und manchmal mussten wir auch einfach ausprobieren.

Irgendwann ist die Baugrube fertig und die Hochbauarbeiten beginnen. Dann dauert es nicht mehr lange, bis nur noch das neue Gebäude zu sehen sein wird. Ihre Arbeit, das Fundament, auf dem alles steht, wird unsichtbar. Ist das schade?

Für mich ist das kein Problem. Das ist ja immer so. Dem Kanalbauer geht es gleich. Was im Boden stattfindet ist undankbar, weil es keiner mehr sieht. Aber alle, die hier arbeiten, wissen: Ohne unsere versteckte Kunst kann das Gebäude später gar nicht stehen.

Genau dafuer leben wir impression 1
Genau dafuer leben wir impression 2

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