Ein Lehrstück für Spezialtiefbau

Die Baugrube für Gebäude D ist ein vielseitiges, interdisziplinäres Projekt. Seine Besonderheit ist Bauen im Grundwasser, da das zweite Untergeschoss unterhalb des Grundwasserspiegels liegen wird. Geologen sondierten daher schon vor Jahren den Bodenaufbau und die Grundwasserverhältnisse. Ihre Erkenntnisse sind sowohl die Grundlage für die Planung für den Baugrubenabschluss als auch für die unterirdischen Säulen, die Pfahlfundation, die Gebäude D fest im Boden verankern werden.

Alle Inhalte im Überblick

Das Ziel ist, so zu bauen, dass die Baugrube wasserdicht und stabil abgeschlossen ist, ohne die natürliche Fliessrichtung und den Wasserhaushalt im Boden zu verändern.

Das neue Gebäude wird sechs Geschosse in die Höhe ragen und sich damit in die bestehende Bebauung am Guisanplatz harmonisch einfügen. Nicht zu sehen, und baulich eine Herausforderung, sind die zwei Untergeschosse. Das erste Untergeschoss liegt gerade noch über dem Grundwasserspiegel. Für das zweite Untergeschoss wird vier Meter tief im Grundwasser gebaut.

Erst wenn die Baugrube wasserdicht ist und die Stabilität des Baugrubenabschlusses gewährleistet sein wird, können Aushub und Abtransport von Aushubmaterial bis in acht Meter Tiefe sicher erfolgen. «Das Projekt ist sehr vielseitig», sagt Christophe Sion, Projektleiter Tiefbau, «weil verschiedene Spezialtechniken zum Teil zeitgleich zum Einsatz kommen. Man muss Technik und Abläufe gut verstehen, damit man sie richtig koordinieren kann.»

Rund um die Baugrube ist kaum Platz, um Material und Maschinen zu lagern oder die notwendigen Einrichtungen zeitlich befristet aufzustellen. Fast alles findet in der Baugrube statt, in die nur eine schmale Rampe führt. Hierüber fahren die mächtigen Bohrmaschinen genauso wie die Lkw. Auf diesem Weg wird Baumaterial in die Grube gebracht und Aushub oder Rückbaumaterial abgefahren. Obwohl im August die Rückbaumassnahmen noch nicht vollständig abgeschlossen waren – die Bodenplatte wird nach und nach zurückgebaut und so lange es geht als Lager- und Rangierfläche genutzt –, begann vorher bereits der Abschluss der rechteckigen Baugrube. An drei Seiten sichern Bohrpfähle die Baugrubenwand; im Süden mit Hochdruck-Injektion (Jetting) unterhalb des Gebäudes der 1. Etappe in den Boden eingebrachte Zementsäulen.

Neutralisation und Versickerung

In dieser geschlossenen Hülle ist es möglich, den Grundwasserspiegel nach und nach mit 12 Pumpen bis Ende des Jahres 2022 auf das für die Baumassnahme notwendige Niveau abzusenken und tief zu halten. Das abgepumpte Wasser wird über überirdische, an der Baugrubenwand befestigte Leitungen in zwei neben der Baugrube aufgestellte Absetz- und Neutralisationsbecken geleitet. Im Normalfall ist das Wasser unverschmutzt und kann direkt über eine eigens dafür erstellte Versickerungsanlage wieder dem Grundwasser zurückgegeben werden. Sobald aber Wasser mit Beton in Kontakt kommt, steigt sein pH-Wert – das Wasser gilt als verunreinigt. Damit es trotzdem in die Kanalisation abgeführt oder ausserhalb der Baugrube zurück ins Grundwasser versickert werden kann, muss es mit CO2-Gas neutralisiert werden.

Natürliche Zirkulation

Ist der Grundwasserspiegel erfolgreich abgesenkt, kann die Baugrube zunächst acht Meter tief ausgebaggert und dann mit einer 25 cm hohen Schicht aus grobem, gebrochenem Sickerkies aufgefüllt werden. Die 60–100-mm-Körnung ist tragfähig und doch porös, eine Art Flussbett unter dem Neubau. Es ermöglicht, dass auch zukünftig das Grundwasser unter dem Gebäude in seiner natürlichen Fliessrichtung zirkulieren kann. Überschüttet mit weiteren 30 cm normalem Kies, dient es den Spezialbauern als Untergrund für das Fundament des Neubaus – die betonierte Bodenplatte.

«Wir wissen, welchen Druck vier Meter Grundwasser von unten auf das Gebäude ausüben können. Die Hebekraft ist enorm. Wir müssen insgesamt drei Geschosse fertigstellen, bevor wir die Grundwassersenkung beenden können. Wenn wir die Pumpen zu früh abstellen, steigt das Wasser wieder auf sein ursprüngliches Niveau und hebt das ganze Gebäude an.»

Später, wenn sicher genug Gewicht von oben auf die Bodenplatte drückt, werden die fest abgedichteten Wände der Baugrube gezielt mit Bohrungen durchlöchert. Das reduziert den Druck und ermöglicht dem Grundwasser, in seine natürliche Fliessrichtung zurückzukommen.

Auch wenn eine sichere Baugrube Ergebnis guter Planung ist, Restrisiko bleibt: «Wir müssen sicherstellen, dass die Baugrube trocken ist.», sagt Christophe Sion, «und wir müssen den Zeitpunkt richtig wählen, um die Grundwasserabsenkung abzustellen und der Natur wieder ihren Lauf zu lassen.»

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«Wie können wir bauen, was wir bauen wollen?»

Claudia Moser und Christophe Sion sind als Ingenieure auf der Baustelle die Koordinierungsstelle zwischen Planungsbüro und ausführenden Firmen. Ein Gespräch darüber, was aktuell den Tiefbau prägt und was ihr wichtigstes Ziel ist.

Frau Moser, Herr Sion, in unseren Gesprächen zum Thema Baugrube fällt immer wieder das Wort «komplex». Was macht diese Baugrube zu einer Herausforderung?

Claudia Moser (CM): Es passierten, vor allem anfangs, viele Arbeiten gleichzeitig: Abbruch bestehender Gebäude, Bohrpfahlwand erstellen, Bohrungen für die Felsanker und Jetting-Arbeiten. Sie brauchen, je nach benutzten Maschinen, jeweils mehr oder weniger Platz. Wir mussten sehr genau planen, welchen Arbeitsschritt wir wann umsetzen. Rund um die Baugrube haben wir durch die enge Bebauung wenig Platz.

Christophe Sion (CS): Bei anderen Infrastrukturprojekten würden die Arbeiten nacheinander, nach Bauphasen gestaffelt stattfinden. Zuerst würden wir alles zurückbauen – Gebäude, Untergeschoss, Bodenplatte. Danach würden wir den Baugrubenabschluss angehen mit dem Ziel, die Baugrube abzudichten und das Grundwasser abzusenken. Das sind unsere zwei grossen Meilensteine. Hier sind wir aufgrund der Platzverhältnisse gezwungen, anders zu denken.

Es gibt viele Abhängigkeiten?

CS: Wir nutzten die Bodenplatte, die später zurückgebaut wird, als stabilen Untergrund für die Jetting-Maschine. Darauf konnten wir ausserdem die beiden Absetzbecken und die Container zur Herstellung des Zement-Gemischs aufstellen. Auf der Nordseite der Grube ist der Korridor zur hölzernen Bauwand mit vier Metern so eng, dass der Beton gar nicht angeliefert werden könnte, wenn die grosse Bohrmaschine dort bohren würde. Wir haben also zeitweilig die Decke vom alten Untergeschoss als Trasse genutzt.

In der Tiefbauphase «Baugrube» denkt man zunächst nicht an Arbeiten im Millimeterbereich. Und doch wird so genau gearbeitet. Warum?

CM: Ein gutes Beispiel ist der Baugrubenabschluss. Für die grossen Bohrpfähle muss senkrecht gebohrt werden, damit der Beton auch an der richtigen Stelle eingefüllt werden kann. Die Pfähle überlappen sich jeweils um 15 Zentimeter. Wenn die Bohrung mit 1 Prozent Abweichung beginnt, ist in 18 Metern Tiefe die notwendige Überlappung nicht mehr gegeben. Die Baugrube wird nicht dicht.

Wie wird das kontrolliert?

CS: Der Unternehmer kann es messen. Wir haben für den Bohransatz eine Schablone erstellt, damit Bohrer und Bohrrohr bei jedem Bohrvorgang leichter an der richtigen Stelle angesetzt werden können. Ausserdem kontrollieren die Mitarbeiter der Bohrequipe die Vertikalität, den Winkel der Bohrstange manuell mit der Wasserwaage.

Die Arbeiten zum Baugrubenabschluss finden in der Erde statt. Die Arbeiter sehen nicht, was im Boden ist beziehungsweise passiert. Wie setzen Sie Leitplanken, damit Sie sicher sagen können: «Es läuft gut?»

CS: Die Qualitätssicherung ist extrem wichtig. Vorab haben wir Versuchsbohrungen gemacht, um die Ergebnisse zu sehen. Jeder einzelne Pfahl ist berechnet. Wir sprechen regelmässig mit dem Maschinisten. Wir kontrollieren die Bohrprotokolle. Hat die Bohrequipe bei ihrer Arbeit den Fels da angetroffen, wo wir ihn erwartet haben?

CM: Für die Jetting-Arbeiten wurden Versuche gemacht, damit wir den Durchmesser für die Jetting-Säulen bestimmen können. Je nach Boden sind sie auf jeder Baustelle anders. Solche Anhaltspunkte sind wichtig, damit der Unternehmer seine Arbeit planen und die grossen Maschinen kalibrieren kann.

CS: Wenn wir im Baugrund arbeiten, ist es zwingend, dass Bodengutachten vorliegen. Wir berücksichtigen hier auch, was wir aus der vorherigen Bauetappe wissen: Baugrund, Grundwasserstand, wo der Fels ist. Natürlich können wir nicht ausschliessen, dass es unterschiedliche Felshöhen gibt, auf die es keine Hinweise gab. Dann merkt der Maschinist das bei seiner Arbeit und wird uns informieren. Wenn sie bohren, auf der von uns vordefinierten Tiefe nichts ist und tiefer gebohrt werden muss, dokumentieren wir das gemeinsam. Das bedeutet nämlich auch: Wir brauchen einen längeren Bewehrungskorb. Momentan haben wir 17 Meter lange Körbe vorgefertigt. Umgekehrt kann sein, dass der Fels höher liegt und wir die Bohrung gar nicht so tief wie ursprünglich geplant ausführen müssen. Die für uns grösste Unsicherheit ist: Wird die Baugrube dicht? Wir haben sie beim Unternehmer dicht bestellt. Wir haben alle Randbedingungen erfüllt, damit sie dicht werden kann. Aber es kann nicht ausgeschlossen werden, dass irgendwo in der Erde schlechtes Material ist und der Bohrpfahl nicht die geforderte Qualität erreicht.

Was ist im Moment der interessanteste Bereich auf der Baustelle?

CM: Die Jetting-Arbeiten. Diese Arbeitsgattung begegnet mir zum ersten Mal auf einer Baustelle – obwohl ich schon 12 Jahre im Beruf arbeite. Wir sprechen viel mit den Mitarbeitern von der Westschweizer Firma Sif, die die Arbeiten ausführt. Sie erklären uns im Detail, wie die Maschinen und das Verfahren funktionieren. Das ist sehr lehrreich und wir können das Wissen in der Zukunft in anderen Projekten anwenden. Wir haben zum Beispiel nicht voraussehen können, dass sich durch den diesjährigen hohen Grundwasserstand viel Wasser mit dem Spoil, dem Rückflussmaterial, durchmischt. Wir hatten daher nicht genügend Volumen in den Absetzbecken eingeplant, um diesen Spoil zu lagern. Auch die Maschinisten waren überrascht. Das ist so noch nie vorgekommen.

Wie kontrollieren Sie die Qualität der Zementsäule?

CS: Wir haben mit Versuchssäulen ermittelt, wie hoch der Zementanteil sein muss, damit jede Säule die Anforderungen erfüllt. Wir haben auch die Baugrundschichten in 50-Zentimeter-Schritten genau untersucht. Wie viel sandiger Anteil? Wie gross muss der Säulendurchmesser in welcher Bodenschicht sein? Das Einzige, was wir am Ende oberirdisch sehen können, ist das Austrittsloch für den Spoil. Wie unsere Wand aus Zement und Erde geworden ist, wissen wir erst, wenn wir die Baugrube ausheben.

Herr Sion, Ihre liebste Stelle auf der Baustelle?

CS: Auch die Jetting-Arbeiten. Sie sind kompliziert, viele Parameter müssen kontrolliert werden. Für mich sind daneben die unterschiedlichen, parallel laufenden Arbeiten spannend. Man muss in jedem Bereich Fachwissen haben und genau und von Anfang an wissen, was wann passiert und was dafür benötigt wird. Die Arbeit ist technisch intensiv. Für jede Bauphase werden wir von Fachingenieuren im Büro unterstützt, die kommen regelmässig auf der Baustelle vorbei, auch weil das Projekt so speziell ist.

Wie sieht Ihr gemeinsamer Arbeitsalltag aus?

CM: Wichtig ist, dass wir uns jeden Tag austauschen. Wir haben beide durch die Projekte, die wir schon betreut haben, einen unterschiedlichen Erfahrungsschatz. Alle Abläufe sind ja genau überlegt und sie funktionieren. Wenn wir die Planung doch anpassen müssen, muss man sich die Zeit nehmen, das gut zu durchdenken und danach gemeinsam zu entscheiden. Unser Produkt sind die Bauarbeiten. Wir stellen sicher, dass korrekt nach Baukunst erstellt wird.

CS: Wir teilen uns alle Arbeiten, die in unseren Bereich gehören: Neben der Baubegleitung und Qualitätssicherung sind das Kostenkontrolle, die Abrechnung mit dem Unternehmer und die Baustellensicherheit. Seit Ende 2019 haben wir am Vorprojekt gearbeitet und die groben Linien festgelegt. 2020 folgten dann die Bauplanung und Ausschreibungsphase. Wir verstehen die Baupläne, kennen das Leistungsverzeichnis und den Vertrag vom ausführenden Unternehmer.

CM: Mit ihm müssen wir bestimmen: Wie kann er umsetzen, was wir bestellt haben? Wie kann er bauen, was wir wollen?

Christophe Sion ist Bauleiter Spezialtiefbau für das Projekt Guisanplatz 1, 2. Bauetappe. Der Ingenieur hat das Projekt von Anfang an geplant. Claudia Moser kam erst in der Ausführungsphase als zweite Bauleiterin dazu. Beide arbeiten beim Unternehmen B+S AG Ingenieure und Planer, Bern.

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Die überschnittene Bohrpfahlwand

Die Baugrube ist auf drei Seiten, den zwei Schmalseiten und der Längsseite Richtung Wankdorf-Areal, mit einer überschnittenen Bohrpfahlwand abgeschlossen. Von Mai bis August 2021 erstellten speziell hierfür geschulte Arbeiter der Firma Marti (Bern) mit der Spezialbohrmaschine tiefe Löcher und füllten diese mit Bewehrungskörben aus Stahl und insgesamt 827 Kubikmeter Beton. Die Bohrlänge variierte zwischen acht und 17,9 Metern und reichte bis zu zwei Meter in den Fels im Untergrund.

Einen stabilen Baugrubenabschluss würden auch Spundwände garantieren. Sie werden mit grossen Geräten in die Erde eingerammt. Jedoch hat das Bundesamt für Bauten und Logistik BBL für die Befestigung der Baugrube aus den Erfahrungen der ersten Etappe Konsequenzen gezogen, um Arealnutzer, Nachbarn und die Quartierbevölkerung besser vor Lärm und Erschütterungen zu schützen. Auf das Einrammen von Spundwänden wurde bewusst verzichtet. Stattdessen kommt das beschriebene Bohrverfahren zum Einsatz.

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Vorgespannte Anker

Die Bohrpfahlwand muss hohem Erddruck standhalten. Sie wird daher mit Stahlseilen gesichert, die tief im Fels schräg ausserhalb der Baugrube verankert sind. Auch hierfür kommt ein Spezialbohrgerät zum Einsatz. Es kann bis zu 34 Meter lange Löcher in einem Neigungswinkel von 45 bis 50 Grad durch die Bohrpfahlwand, durch die äusseren Bodenschichten bis zu acht Meter tief in den Molassefels bohren.

Diese Sicherungssysteme für die Baugrubenwand reichen bis weit unter das Areal des Wankdorf Centers oder die Papiermühlestrasse. Sind die Ankerkabel aus Stahl eingesetzt und im Felsbereich eingemörtelt, können sie mit einer hydraulischen Presse gespannt und in der Betonlongarine fixiert werden. Sie stabilisieren die gesamte Baugrubenwand.

Die Bruchkraft jedes Ankers liegt bei 150 Tonnen, was ungefähr dreieinhalb Lkw entspricht. Bis Dezember 2021 sollen 92 Anker im Abstand von 1,5 Metern gesetzt und vorgespannt sein.

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Jetting-Säulen

Jetting ist ein aufwendiges und anspruchsvolles Verfahren. Es kommt zum Einsatz, wo die Baugrube an das Gebäude A aus der ersten Bauetappe angrenzt. Im Abstand von je einem Meter wird ein Bohrgestänge in die Erde eingeführt und über Wasserdruck so lange Bodenmaterial ausgeschlemmt, bis ein Loch mit einem Durchmesser von 25 cm vorgebohrt ist.

Sobald der felsige Untergrund erreicht ist, beginnt das Gestänge zu rotieren. Durch fünf Millimeter grosse Düsen spritzt die Maschine mit 360 bar ein Zement-Wasser-Gemisch in den Boden, lockert diesen auf, verdrängt Erdmaterial nach oben und türmt unterirdisch eine fast vier Meter hohe und bis zu 1,50 Meter dicke Säule auf. Eine Reihe sich überlappender Säulen wird so die Höhe zwischen dem Fels und dem bestehenden Gebäude abschliessen und verhindern, dass dort Wasser in die Baugrube drückt.

Risiko bei diesem Verfahren ist, dass das vom Wasser-Zement-Gemisch verdrängte Bodenmaterial, der sogenannte Spoil, nicht abfliesst. «Die Maschine hat die Kraft, viel Druck im Boden aufzubauen», so Christophe Sion. Daher steht ein Geotechniker während dieser Arbeiten im an die Baugrube angrenzenden Gebäude A und kontrolliert in der Tiefgarage mit dem Theodolit über Referenzpunkte an der Wand mögliche Bewegungen des Gebäudes. Toleranzgrösse sind: 3 Millimeter. «Wir arbeiten in der Erde und sehen das Ergebnis erst am Schluss, wenn wir die Baugrube ausbaggern», sagt Christophe Sion. Überschneiden sich die Bohrpfähle gut genug? Oder gibt es an einer Stelle ein Loch, durch das Grundwasser eindringt? Erfahrungswerte zeigen, dass die Baugrube nie ganz dicht wird und lokal mit Injektionen nachgearbeitet werden muss. «Wir machen das Beste, was wir können. Die Frage ist: Was macht der Baugrund? Weicht er lokal von unseren Berechnungen ab?», so der Ingenieur. Das sei eine Besonderheit im Spezialtiefbau: Man kann nicht alles exakt voraussehen, sondern man muss mit der Natur und den lokalen Gegebenheiten arbeiten.

Der Spoil aus Zementwasser und Erde wird in zwei in der Baugrube aufgestellte Absetzbecken gepumpt. Sobald sich das feste Material abgesetzt hat, kann das Wasser abgepumpt, neutralisiert und in die Kanalisation abgegeben werden. Festeres Material wird abtransportiert und rezykliert. Die Arbeiten dauerten vom 15. Juli bis 25. August 2021. Sie produzierten ein Spoil-Volumen von 1600 Kubikmetern.

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Ein starkes Fundament: die Pfahlfundation

Die Bodengeologie am Guisanplatz bedingt, dass Gebäude D nicht nur auf einer betonierten Bodenplatte errichtet werden kann. Zwischen der oberen, tragfähigen und kiesigen Schicht und dem Felsgestein in der Tiefe liegt ein Rückstausediment, das sandig und daher setzungsanfällig ist. Ohne Massnahmen würde sich das Bauwerk unkontrolliert und ungleichmässig um mehrere Zentimeter setzen. Daher haben, zeitgleich zur Grundwasserabsenkung und zum Rückbau der Bodenplatte des alten Garagengebäudes, Ende September die Arbeiten für die Pfahlfundation begonnen.

Abgestimmt auf die Wände und Stützen des zukünftigen Gebäudes und über die gesamte Baugrube verteilt erstellt eine Spezialequipe 173 Fundationspfähle. Diese leiten die Lasten des Gebäudes später in den Baugrund ab und garantieren Standsicherheit. Sie variieren im Durchmesser von 72 über 100 bis zu 130 Zentimeter. José Antonio Briego Recio führt das grosse Bohrpfahlgerät Typ LB36; er ist Teil eines 3er-Teams aus Polier, Arbeiter und Maschinist. Pro Tag erstellt er bis zu sechs Bohrpfähle: Bohren, Bewehrung einstellen, betonieren und Verrohrung zurückziehen. Pro Bohrpfahl verbraucht das Team, je nach Durchmesser der geplanten Betonsäule, ein bis zwei Lkw-Ladungen Beton.

José Antonio Briego Recio steuert die Maschine auf der Basis der Informationen, die das Display seines Bordcomputers in der Führerkabine des Bohrgerätes anzeigt. Jeder Pfahl ist durch die Planer zentimetergenau verortet und in Länge und Durchmesser definiert. Dennoch: Auch wenn das Bohrgerät digital eine Bohrtiefe von 12 Metern anzeigt, wird grundsätzlich von Hand nachgemessen und geprüft. Die Betonsäulen sind nur stabil, wenn sie im Fels verankert sind. Erfahrung und Wissen um den immer wieder verschiedenen Baugrund kann keine Maschine ersetzen.

Das sandige Bohrmaterial, das die verschieden grossen Bohrschnecken nach oben befördern, lädt der Baggerführer direkt auf einen bereitstehenden Lkw.

Bei diesen Arbeiten ist exakte Koordinierung der einzelnen Arbeitsabläufe besonders wichtig. Wenn der Beton auf dem Weg zur Baustelle oder dann auf der Baustelle sich zu lange im Fahrmischer befindet, verändert sich seine Konsistenz und er wird unbrauchbar.

«Wir bauen etwas, das bleibt für mehr als 50 Jahre!»

Beat Bachmann, Polier: «Jeder kennt die Abläufe, wir sind ein eingespieltes 3er-Team. Damit wir sicher arbeiten können, müssen wir uns bei jedem Handgriff aufeinander verlassen: Schacht bohren, die Bewehrung einbauen, die schweren Bohrrohre abstellen oder Ortbeton verfüllen.» José Antonio Briego Recio ist seit 20 Jahren Baumaschinenführer, 2011 kam er in die Schweiz. Er ist auf verschiedenen Maschinen geschult, hat den Lernfahrausweis M1 und die Spezialprüfung M17 abgelegt. Adriano De Araújo ist wie ein zweites Paar Hände für José – ausserhalb der Maschine. Adriano löst die Verrohrungen und wechselt die Bohrer aus oder misst die Tiefe des Bohrlochs nach.

Als Polier bin ich dafür verantwortlich, dass wir die Bohrpfähle am geplanten Ort erstellen. Jeder Pfahl hat eine Nummer und genau definierte Koordinaten zu Bohrlänge, Pfahllänge, Felseinbindung. Ich arbeite seit 37 Jahren in meinem Beruf. Zuerst habe ich Maurer gelernt, dann die Polierschule gemacht und mich danach auf Spezialtiefbau konzentriert: Schächte, Baugruben, Wasserhaltung. Wir sind viel in der Westschweiz, im Tessin und Wallis. Die zwei Monate, die wir in Bern am Guisanplatz im Einsatz sind, kann ich nach Feierabend nach Steffisburg nach Hause fahren. José kommt aus Biel und Adriano aus Solothurn. Auf anderen Baustellen sind wir oft nur wenige Tage. Mein Sohn kam einmal auf der Baustelle ‹schnuppern›. Ihm war die Arbeit zu anstrengend, jetzt wird er Maler. Aber: In den Städten wird immer enger gebaut – dafür müssen die Baugruben speziell abgesichert sein. Unsere Erfahrung und Fachkenntnis sind wichtig. Wir werden gebraucht.»

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Geschichten, die der Boden erzählt

Ein Gastbeitrag von Jürg Ryser zu Geologie und Geotechnik, Untergrund und Grundwasser am Guisanplatz.

Was hat sich in den letzten 10 000 Jahren auf dem Areal des heutigen Verwaltungszentrums am Guisanplatz ereignet? Welche Geschichte hat der Untergrund? Und wieso sollte das überhaupt irgendwen interessieren?

Um dem Untergrund am Guisanplatz seine Geschichte zu entlocken, wurden für frühere Etappen und für das aktuell laufende Projekt auf dem Areal des Verwaltungszentrums und der angrenzenden Umgebung insgesamt mehr als 30 geologische Bohrungen und Grundwassermessstellen erstellt bzw. ausgewertet. Es wurden Schichtgrenzen bestimmt, Eigenschaften zugeordnet und Wasserspiegel gemessen. Die Ergebnisse sind zusammengefasst im «Bericht über die Baugrund- und Grundwasserverhältnisse» von 2010.

Das ganze Breitenrainquartier in Bern wurde von verschiedenen Gletschervorstössen und den Ablagerungsvorgängen nach den Eiszeiten geprägt. Der vom Gletscher in flachen Wellen abgeschliffene Fels befindet sich im Bereich des Verwaltungszentrums Guisanplatz in ca. 10–16 m Tiefe unter dem heutigen Terrain. Auf dem Fels wurden nach dem letzten Rückzug des Gletschers in flachen Gletschervorlandseen mehrere Meter feinsandige bis siltige Rückstausedimente abgelagert. Nach diesem Ablagerungszeitraum gab es eine Phase, wo die zu diesem Zeitpunkt weit verzweigten Arme der Aare diese feinkörnigen Ablagerungen grossflächig teilweise wegerodierten und mit gröberem, sandigem bis kiesigem Material überlagerten, den sogenannten Felderschottern.

Diese kiesige Schicht ist im Bereich des Verwaltungszentrums meist 3–4 Meter mächtig. An der Basis dieses Schotters fliesst ein geringmächtiges Grundwasser. Die unterliegenden Sande sind dadurch ebenfalls mit Grundwasser gesättigt bis hinunter zum Fels.

Die neuen Gebäude sollen mit zwei Untergeschossen ausgeführt werden. Die Unterkante der Bodenplatte liegt also ca. 8,5 Meter unter dem Terrain und damit gut 4,0 Meter unter dem Grundwasserspiegel in den wassergesättigten Sanden. Zudem nimmt das neue Gebäude ein ganzes Stück des Felderschotters weg und verändert damit den bisherigen Lauf des Grundwassers. Durch diesen Einbau darf das Grundwasser aber nicht so stark beeinflusst werden, dass es durch Aufstau oder Absinken Schäden auf den Nachbarparzellen verursachen könnte. Für solche Schäden wäre die Bauherrschaft zivilrechtlich haftbar.

Die bisherige Geschichte des Untergrunds und die Wünsche des Menschen mit technischen Massnahmen in Einklang zu bringen, ist die Aufgabe des Geotechnikingenieurs. Er ist die Schnittstelle zwischen dem Geologen und dem Hochbauingenieur. Er muss sowohl die Geschichte verstehen, die der Boden erzählt, wie auch dem Hochbauingenieur eine Baugrube und ein Fundament berechnen, auf welches er abstellen kann. Das neue Gebäude wird – wie schon die neuen Gebäude der 1. Etappe – nicht «auf den Sand gebaut». Dieser ist zu weich und die Gebäude würden sich setzen und verkippen. Die Gebäudelasten werden über Fundationspfähle in die Molasse abgegeben und das Gebäude steht «felsenfest».

Um den Endzustand des Grundwasserhaushalts besser abschätzen zu können, wurde 2019–2021 der Verlauf der Grundwasserströmung mit einem Färbeversuch untersucht. Auf der Südseite gegen die Rodtmattstrasse wurden in drei bestehenden Grundwassermessstellen (Bohrungen) Markierstoffe in das Grundwasser eingegeben. Die Markierstoffe traten nach unterschiedlicher Zeit in unterschiedlichen Konzentrationen in den Wasserproben aus anderen Bohrungen weiter nördlich und westlich wieder auf. Aus diesen Daten konnte gefolgert werden, dass der Einbau der Etappe 2 in das Grundwasser in der Nordostecke des Areals weiter kein Problem darstellt. Das meiste Grundwasser fliesst mehrheitlich nach Nordosten gegen die Grosse Allmend und Ostermundigen sowie in untergeordnetem Mass vom Guisanplatz nach Nordwesten ins Breitfeld.

Vor diesem Hintergrund wurde folgendes Konzept für das Grundwasser ausgearbeitet: Wie alle Gebäude der 1. Etappe verfügt auch die 2. Etappe über einen zusammenhängenden, gut durchlässigen «Sickerteppich» unter der Bodenplatte. So kann das Grundwasser anstatt durch die früher vorhandenen Felderschotter nun durch die neu geschaffenen Wege fliessen. Auch die seitlichen Hinterfüllungen des Gebäudes sind gut durchlässig gehalten. In den Bohrpfahlwänden der zweiten Etappe sind Löcher vorgesehen, welche vermeiden, dass der Wasserspiegel im Endzustand innerhalb der umschlossenen Baugrube zu hoch ansteigen kann und die dem Grundwasser einen ausreichend durchlässigen Weg anbieten. So wird das Risiko für einen Aufstau oder ein Absenken in der Umgebung kalkulierbar und klein gehalten. Im Endzustand ist dieser Wasserweg an drei Orten kontrollierbar. Für den Notfall ist vorbereitet, dass mit diesen Kontrollstellen in der Hinterfüllung auch Wasser aus dem System abgepumpt werden könnte.

So weit also die Geschichte. Nun befinden wir uns mittendrin im letzten Kapitel, wo die Wahrheit ans Licht kommt: Die alte Weisheit, dass man erst beim Aushub sieht, was wirklich im Boden ist, gilt selbstverständlich auch bei diesem Projekt. Bis jetzt arbeiteten die Spezialtiefbauer allerdings sehr sorgfältig und die gewählten Konzepte scheinen wie geplant zu funktionieren. Das gesamte Team ist zuversichtlich, die Baugrubensohle wie vorgesehen zu erreichen und die Baugrube und die Fundationspfähle im April 2022 dann «schlüsselfertig» dem Baumeister des Hochbaus übergeben zu können.

Jürg Ryser ist Bauingenieur ETH bei der B+S AG. Er hat 2010 das Bodengutachten erstellt und ist für die Planung der Baugrube, der Wasserhaltung und der Pfahlfundation der 2. Etappe verantwortlich.

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